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Autoren-Thread: Chili Palmer

Begonnen von Chili Palmer, 1 Dezember 2006, 00:15:27

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Vincent Vegas

Soll das etwa heißen, dass Onkel Woo dich auch mit diesem Filmchen nicht zufrieden stellen konnte?

So nach dem MAOAM-Motto:
Wollt ihr Ben Affleck?
Nein!!!
Wollt ihr Tom Cruise?
Nein!!!
Wollt ihr Nicolas Cage?
Nein!!!
Wollt ihr Jean-Claude Van Damme?
Nein!!!
Wollt ihr Christian Slater?
Nein!!!
Was wollt ihr dann???
JOHN TRAVOLTA!!!

Chili Palmer


Erklär´ mir deine MAOAM-Metapher und ich habe vielleicht eine Antwort für dich.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Vincent Vegas

Dann guck mal auf deinen Avatar!  :king:

Chili Palmer


Dann lies´ mal meine "Be Cool"-Kritik!  :king:
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Fastmachine

Es ist vollbracht, ich habe mich mal etwas genauer durch deine Reviews gelesen und dann sicherheitshalber auch noch ,,Schnappt Shorty"  angesehen, bevor ich mich in diesen Thread traute.

,,Chili Palmer": das ist eine Haltung, eine Art Täuschungsmanöver, die den unverbesserlichen Filmliebhaber, ja den Fanboy (Elektra  :king:) im Text zu kultivieren scheint, aber dennoch mit jedem Satz, jeder wohlziselierten Formulierung eine verräterische Spur hinterlässt, die auf eine doch komplexer gestrickte Autorenpersönlichkeit hindeutet. Wohin führt mich diese Spur? Zu einem Billardspieler, der zwei- bis dreimal über Bande spielt.

Um im Bild zu bleiben: Wie von selbst rollen deine Wortkugeln über den Pool, klicken einander an, ändern die Richtung, um dann am Schluss elegant eingelocht zu werden. Das wirkt so leicht, dass Unvorsichtige meinen, es wäre ganz leicht. Es sieht aber nur leicht aus, braucht es doch immer einen kunstfertigen Stoß, den zu lernen alles andere als einfach ist.

Diese zweimal über Bande gespielte, vorgeblich naive und unverbildet für alles offene Haltung, ermöglicht es mir als Leser, sogar für Augenblicke mit dem Gedanken zu spielen, ,,Elektra" gut zu finden, oder ,,Sin City" im Rausch unbeirrbar mit 10/10 zu dekorieren.
In diesen Fällen habe ich deine Reviews lieber gelesen, als die zugehörigen Filme gesehen.

In solch gestischen Reviews ist Chili Palmer natürlich in seinem Element, er schwimmt wie ein Kredithai im Meer der Kleinkriminellen. Angreifbar wirst du nur, wenn du argumentativ stärker aus der Geste hervortrittst, wie eben bei deinen ,,Matrix"-Reviews. Hier sträubt sich der garstige Höllenhund, der mir auf der Kritikerschulter sitzt und an jedem Film noch etwas auszusetzen hat, dann doch zu stark und knurrt bedenklich. :icon_twisted:

Souverän bändigst du die Materialfülle der Deutungen, mit denen ,,Matrix" überschüttet wurde.  Mein Höllenhund sagt aber: Allzu unbedenklich schmiegst du dich dem zusammengeleimten Kosmos des Pseudotiefsinns an, den die Wachowski-Brüder dort zusammengerührt haben. Ein ,,Best-of" aus Philosophiegeschichte und Science-Fiction Standards, aber da sage ich dir ja nichts neues, denn:

ZitatZudem sperrt sich die Sampling-Technik des Films auch gegen jede Art von greifbarer Diskussion; wenn der Film alles auf einmal sein will, ist er gleichzeitig auch nichts von allem. Das war die Hauptangriffsfläche seiner Kritiker, die ihm einen hippen Zitatbrei ohne tiefergehende Absicht unterstellten.

Nö, nicht die mangelnde Absicht ist das Problem, sondern schon das künstlerische Vermögen, die Absicht auch umzusetzen in das sichtbare Resultat.
Der philosophische Aufwand ist groß, die philosophische Methode schlecht und das Resultat lachhaft (spricht mein Höllenhund).

Zitatall das schreit förmlich nach Doktorarbeiten.

Mir reicht ein Satz: Es ist schlechte Metaphysik. Wer die morschen Systeme vergangener Philosophen nicht für die Gegenwart lebendig denkt, sondern zur dekorativen Tiefsinnigkeit zusammenklaubt,  der ist weitaus unphilosophischer, als jeder Genrefilmer, der wirklich auf der Höhe der Gegenwart ist. 
Eine Art exakte Phantasie sagt mir, dass du sehr genau weißt, wovon ich spreche und weshalb.

Genug der Kritik. Die hier, auch wenn ich deine Matrix-Deutung ablehne, ein sehr großes Lob sein soll. Ich habe jederzeit gerne Lebenszeit in das Lesen deiner Reviews investiert.  :respekt:

Aus eigennützigen Gründen würde ich gerne auch mal ein Klassiker-Review von dir lesen. Leser sind manchmal ungeduldig, fordernd, ja in Grenzfällen unverschämt. Deswegen klage ich jetzt mal dreist ein Orson-Welles-Review von dir ein, wozu du dich natürlich unter den Gesichtspunkten der Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung gar nicht, aber im Sinne einer abseitigen Nickname-Metaphysik sehr wohl verpflichtet fühlen solltest.  :icon_mrgreen:


Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

Vince

Also Fastmachine, deine Autoreneinschätzungen übertreffen in Sachen Bildwert und Metaphorik fast noch deine Kritiken. Chili als Billardtisch... besser gehts nimmer!  :icon_lol:
Finde ich alles mehr als treffend, was du schreibst, abgesehen davon, dass ich Chilis Matrix-Kritiken ganz im Gegenteil zu dir als sein Opus Magnum begreife und auch glaube, dass da eher ideologische Differenzen zwischen dir und Chili das Problem sind als seine Fähigkeit als Autor, den Matrix-Kosmos zu ergründen.
Und "Elektra", das dürfte wohl Chilis "Dreamcatcher" sein...  ;)

Fastmachine

Zitat von: Vince am 28 Januar 2007, 18:09:17
Finde ich alles mehr als treffend, was du schreibst, abgesehen davon, dass ich Chilis Matrix-Kritiken ganz im Gegenteil zu dir als sein Opus Magnum begreife...

Durchaus, durchaus, habe ich vielleicht nicht deutlich genug gesagt.

Zitat...und auch glaube, dass da eher ideologische Differenzen zwischen dir und Chili das Problem sind als seine Fähigkeit als Autor, den Matrix-Kosmos zu ergründen.

Da liegt ein Mißverständnis vor. Nicht Chilis Fähigkeit als Autor habe ich angezweifelt, sondern die Fähigkeiten der Wachowski Brüder. Die Leistung seiner Matrix-Reviews habe ich vielleicht zu kurz nur zu Beginn des Abschnittes gewürdigt.
Wo ich Einwände habe, das betrifft die Ausrichtung des Reviews. Da wird aus meiner Perspektive der Wachowski-Katechismus allzu fromm nachgebetet.
Meinetwegen "ideologische Differenzen", obwohl das klingt ein wenig nach Politbüro der der KPdSU. So schlimm ist das nicht, es war nur der Höllenhund auf meiner Schulter, der geknurrt hat.  ;)

ZitatUnd "Elektra", das dürfte wohl Chilis "Dreamcatcher" sein...  ;)

Jeder pflegt halt seine Lieblingsleiche im Reviewkeller  :icon_mrgreen:
Ich mag keine Filme; die verblöden nur. (Alfons d. Ä.)

Vincent Vegas

Würde mal gerne wissen, wie eine Kritik von Fastmachine zu mir ausschauen würde, sofern er meine Reviews ließt!  :icon_eek:

Chili Palmer

Au Backe, da schaut man mal fünf Minuten nicht hin, schon werden hier die Höllenhunde von der Kette gelassen.  :D Nun, dann wollen wir mal (wo sind meine Frolic?)...

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
und dann sicherheitshalber auch noch ,,Schnappt Shorty"  angesehen, bevor ich mich in diesen Thread traute.

Wobei ich Gerüchte, ich sei nachts in die Häuser gewisser Review-Autoren eingestiegen und hätte sie zur Ansicht von Gangsterfilmen gezwungen, weit von mir weisen möchte. Niemand wird hier zu Hausaufgaben gezwungen, Kinder, wir sind hier nicht in der Schule. Aber ihr dürft euch alle gern ein Beispiel an unserem fleißigen Freund nehmen!  :king:

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
Um im Bild zu bleiben: Wie von selbst rollen deine Wortkugeln über den Pool, klicken einander an, ändern die Richtung, um dann am Schluss elegant eingelocht zu werden. Das wirkt so leicht, dass Unvorsichtige meinen, es wäre ganz leicht. Es sieht aber nur leicht aus, braucht es doch immer einen kunstfertigen Stoß, den zu lernen alles andere als einfach ist.

Um mit einem anderen Bild zu antworten: Als professioneller Taschenspieler müsste ich jetzt wütend sein, dass du scheinbar hinter meinem Rücken meine Tricks studiert hast. Ich begnüge mich aber damit, mich geschmeichelt zu fühlen.

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
ermöglicht es mir als Leser, sogar für Augenblicke mit dem Gedanken zu spielen, ,,Elektra" gut zu finden,

:icon_twisted:

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
Angreifbar wirst du nur, wenn du argumentativ stärker aus der Geste hervortrittst, wie eben bei deinen ,,Matrix"-Reviews.

Ja, das ist mir auch immer wieder durch den Kopf gegangen (Chili lebt schließlich von seiner charmanten Unanfechtbarkeit), aber dieser Ausbruch tat mir schon dahingehend gut, als dass ich mich nicht in eine Ecke manövrieren wollte, aus der es früher oder später kein Entrinnen gibt. Einen Großteil des Feedbacks zu meinen Reviews stellen nun einmal die "Matrix"-Filme, was mir beweist, dass gelegentliches, deutliches Farbbekennen nötig ist, will ich stures ins-Leere-schreiben vermeiden. Eine nette Konversation, amüsantes Fachsimpeln und dergleichen möchte ich nämlich nicht missen, deswegen bin ich ja auch im Forum aktiv.
Hm, somit fügt sich selbst das wiederum wunderbar ins Bild von Mr. Palmer ein.  :icon_cool:

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
Allzu unbedenklich schmiegst du dich dem zusammengeleimten Kosmos des Pseudotiefsinns an, den die Wachowski-Brüder dort zusammengerührt haben.

Die Wachowskis haben ja selbst immer jegliche interpretativen Statements zu ihren Filmen abgelehnt, was, egal aus welchem Blickwinkel man es betrachtet, eine immens clevere Entscheidung war. Dennoch ließen sie gelegentlich ein wenig von ihren Absichten durchsickern und so erwähnten sie (ich klaube das jetzt aus der Erinnerung zusammen), dass sie mit dem ungeschriebenen Gesetz Hollywoods, dass Actionfilme keine tieferen Botschaften enthalten dürfen und sich jeglichem Diskurs verweigern müssen, nicht einverstanden waren und mit ihrem schrillen Spektakel den Gegenbeweis antreten wollten.
Und an diesem Punkt lässt sich natürlich wunderbar die Diskussion entfachen, ob dieser Versuch geglückt ist.
Fraglos haben die beiden hier einen typischen Anfängerfehler begangen, indem sie alles, was ihnen am Herzen lag, in einen Film gestopft und durch diese Ballung jedweden diskussionswürdigen Schwerpunkt verbaut haben, aber, und das habe ich ja in meinem Review auch herauszustellen versucht, der Film funktioniert dennoch. Insbesondere rechne ich ihm seinen konstanten Spannungsbogen an, denn es war den Brüdern ja ein Anliegen, einen philosphischen Actionfilm zu drehen, und an den Maßstäben des Actionfilms messe ich demzufolge zuerst.
Deshalb stellt sich für mich die Frage: Ging es den Wachowskis wirklich um die Errichtung eines wacklig "zusammengeleimten Kosmos des Psudotiefsinns" oder vielmehr schlicht um die Einbringung neuer Themen in das Genre des Actionfilms?
Und wurde dem Film erst dadurch soviel Aufmerksamkeit zuteil, weil er in vom populären Neuzeitkino kaum erforschten Gebieten stocherte? All die Autoren, Philosophen und Kirchenvertreter, die sich zum Film äußerten (zu einem, wir lassen es uns noch einmal auf der Zunge zergehen, Actionfilm!), rückten jeweils ihre ureigenen Tätigkeitsbereiche in den Fokus, unterfütterten so ein hip aufgezogenes Sci-Fi-Spektakel mit einer öffentlichen Debatte. Und schufen so erst das filmhistorische Fundament für einen aus technischer Sicht schwer veraltungsanfälligen Actionreißer. Die Wachowskis haben hier auf der Klaviatur der Medien gespielt, haben mit ihrem glänzenden Honigtopf unzählige Bären aus ihrem Winterschlaf gerissen. Man konnte nur staunen, wer alles eine Meinung zu Matrix hatte. Endlich erhob sich ein Mainstreamfilm über die Sphären der Filmkritiker hinaus, ein spannender Vorgang, meiner Meinung nach.
Und als ich einen Blick in die OFDb tat, stellte ich fest, dass fast ausnahmslos die vordergründige Handlung und die "bullet-time"-Spielereien, sprich, die "veraltenden" Elemente, im Zentrum der Besprechung standen, ohne dass auf das zugrundeliegende Gemisch, das eigentliche Anliegen der Wachowskis, eingegangen wurde. Ich wollte hier einfach ein wenig die Dinge geraderücken, zugunsten der zahlreichen Aspekte des Gesamtwerkes. Und so liest sich mein Review auch als euphorische Aufzählung, die vielleicht den Eindruck erweckt, ich sei dem Wundertütenstöbern erlegen. Dabei wollte ich nur dem Sampling-Charakter der Vorlage adäquat begegnen. Wenn ich Kant nur mit einem Satz abhandele, dann nur deshalb, weil die Wachowskis sein Werk ebenfalls nur im Vorbeilauf mitnehmen. Warum sollte ich länger bei ihm verweilen als sie? Dann würde ich ja in die von ihnen gelegte Falle tappen. 
Immerhin, diese Falle und ihr multimediales Zuschnappen ringen mir auch heute noch einigen Respekt ab. Deshalb verharre ich bei meiner hohen Bewertung, auch wenn sie nostalgischen Gefühlen entsprungen zu sein scheint.

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
Wer die morschen Systeme vergangener Philosophen nicht für die Gegenwart lebendig denkt, sondern zur dekorativen Tiefsinnigkeit zusammenklaubt,  der ist weitaus unphilosophischer, als jeder Genrefilmer, der wirklich auf der Höhe der Gegenwart ist. 
Eine Art exakte Phantasie sagt mir, dass du sehr genau weißt, wovon ich spreche und weshalb.

Ich denke, wir verstehen uns. Manche Schüler können ihre Schulbücher auswendig lernen und werden dennoch nie Klassenbeste sein. Stichwort "Angewandtes Wissen".  ;)

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 17:09:59
Deswegen klage ich jetzt mal dreist ein Orson-Welles-Review von dir ein, wozu du dich natürlich unter den Gesichtspunkten der Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung gar nicht, aber im Sinne einer abseitigen Nickname-Metaphysik sehr wohl verpflichtet fühlen solltest.  :icon_mrgreen:

Und wie ich mich da verpflichtet fühle, von wegen abseitig, da muss ich wohl durch! Für die nächste Zeit ist damit zwar nicht zu rechnen, aber irgendwann schallt es durch den Review-Bereich: ADIOS!

Zitat von: Vince am 28 Januar 2007, 18:09:17
Und "Elektra", das dürfte wohl Chilis "Dreamcatcher" sein...  ;)

Ja, das stimmt wohl, wie kann ich es nur umschreiben...

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 18:39:00
Jeder pflegt halt seine Lieblingsleiche im Reviewkeller  :icon_mrgreen:

Danke.  :icon_mrgreen:

Zitat von: Fastmachine am 28 Januar 2007, 18:39:00
So schlimm ist das nicht, es war nur der Höllenhund auf meiner Schulter, der geknurrt hat.  ;)

Ach, der scheint mir doch ein recht lieber Zeitgenosse zu sein. Kannst ruhig öfter mit ihm Gassi gehen.

So long,
Chili
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Chili Palmer

Nachdem ich überlegt habe, ob ich dem beachtlichen Berg aus "Passion Christi"-Reviews wirklich noch einen draufsetzen sollte, habe ich mich dagegen entschieden, denn so gut wie alles, was mir zum Film durch den Kopf ging, wurde in der einen oder anderen Form schon ausgeführt.
Für erwähnenswert halte ich es aber, dass sich bei diesem Film das sonst recht enervierende Lesen mehrerer Reviews als höchst lohnend erwies. Habe selten dermaßen viele hochqualitative und emotionale Stellungnahmen zu einem Film gelesen.
Deshalb an dieser Stelle eine kleine Ansammlung an Auszügen aus den OFDb-Reviews, die sich in der Summe mit meiner Sicht des Films decken:

Bevor der Film überhaupt richtig begonnen hat, staunt man schon einmal über die konsequente Verwendung von Aramäisch, Latein und Hebräisch. Dient das der Authentizität? Nun kann man sich denken:

ZitatUnheimlich mutig von Gibson den Film nicht in Englisch zu drehen. Dadurch wirkt der Film noch realistischer, als eh schon!

Man kann aber auch darüber grübeln, ob Gibson sich folgendes dachte:

ZitatHmmm... wenn ich den ganzen Mist auf aramäisch, hebräisch und lateinisch mache, sind die Dreharbeiten für die Darsteller zwar ein bisschen aufwändiger, aber dafür glaubt mir dann auch jeder, dass ich das Thema wirklich ernst nehme und auf Authentizität wert lege. Und ich spare beim weltweiten Vertrieb die Kosten für die Synchronisation. Ha!

Dazu muss ich sagen, dass sich mir unter dem Strich auch nicht erschlossen hat, weshalb es unbedingt Originalsprache sein musste. Schließlich kenne ich die Vorlage auch nur in deutscher Übersetzung, Luther sei Dank. War mir die Botschaft deshalb bislang fremd?
Naja, geredet wird ja letztendlich eher wenig, denn der Film kippt recht schnell ins Extrem:

ZitatUnd dabei beginnt der Film so viel versprechend, geht recht detailliert auf die Geschichte vor der Gefangennahme, Verurteilung, Folter und Kreuzigung Jesu ein, und entpuppt sich so als nette Religions-Nachhilfestunde. Aber dann begeht Gibson den Schnitt, der aus dem Film nicht die gewünschte, liebevolle Auseinandersetzung mit der Materie macht, sondern eine blutige, durchweg geschmacklose Folter-Dokumentation, von der man sich jederzeit fragt: Muss das sein?

War auch die Frage, die ich mir stellte.

ZitatDie vorab verbreitete Kunde, der Film bebildere den Kreuzgang Jesu mit nie gesehener Brutalität, erweist sich erwartungsgemäß als hochstaplerische Skandalkampagne, die durch die zwar endlos ausgewalzten, aber gestreng komponierten, kühl-distanzierten Eindrücke in keiner Weise gerechtfertigt wird. Umso fragwürdiger ist dafür die unterliegende religiöse Durchhalteparole, die Jesus weniger als gütigen Menschenfreund zeichnet, der auch seinen Peinigern vergibt, sondern eher als unbezwingbaren Sandsack, der einstecken und wieder aufstehen kann wie kein Zweiter.

Gibson wagt es aus lauter Respekt vor der Vorlage nicht, über den Originaltext hinauszugehen, die Charaktere führen keinen vom Bibeltext abweichenden Dialog. Und da sich die Bibel sowieso eher durch bildhafte Gleichnisse auszeichnet, versucht Gibson den Ereignissen mit Kino-Klischees beizukommen: Jesus kann die Sympathie des Kinopublikums einzig und allein durch "Rocky"-Taktik erlangen: Einstecken, einstecken, einstecken und am Ende doch als Sieger den Ring verlassen. Hat mich sehr unangenehm berührt.

ZitatWürde die Passion Christi Gibson tatsächlich soviel bedeuten, wie er penetrant zu beweisen versucht, hätte er auf dessen wenigstens in Ansätzen formulierten Lebenslauf nicht verzichtet.

Ich meine, Gibson ging es doch scheinbar darum, Jesus den Menschen nahezubringen. Wie will er das schaffen, wenn er nur Folter abbildet? Hierbei ist es völlig egal, dass Jesus jedem auf der Welt bekannt ist, innerhalb seiner filmischen Grenzen bleibt uns dieser Charakter fremd, Gibson lässt lediglich auf Fleisch einprügeln.
Und hier kommt des Regisseurs technische Perfektion zum Tragen, die mein Unbehagen noch verstärkt hat:

ZitatGöttliche Bedeutung ward so jedem Bilde beigemessen, aufs Innigste unterstrichen durch andauernden Zeitlupeneinsatz, Blaufilter, Kunstnebel und in babylonischem Bombast dahinschwelgende Hosiannachöre, wenn denn der Leiden Eindringlichkeit die Botschaft des Herrn überdecken könnte, was nicht selten der Fall war.

Und so technisch unanfechtbar das Ganze zu sein scheint, so verworren erscheint sein Unterbau. Da wird kurz in die Vergangenheit gesprungen, wir hören Jesus sagen: "Vergebt euren Feinden", im Anschluss schickt uns der Film durch 10 Minuten blutigste Zeitlupenfolter. Was ist das? Filmischer Lackmus-Test? Wessen Kopf färbt sich bei Ansicht zuletzt rot? Wer erbleicht zuerst? Darf ich hier meine Toleranz erproben? Soll das Ventilfunktion erfüllen? Ich weiß es nicht.
Natürlich pocht Gibson hier auf eine emotionale Reaktion des Zuschauers, doch sein Film kanalisiert diese Emotion nicht, kann keine positive Botschaft oder gar Hoffnung vermitteln. Sklavisch verfilmt er Jesus´ letzte Stunden, lässt ihn sterben, lässt ihn auferstehen, soso, aha, aber das wissen wir doch alles schon. Die Geschichte ist bekannt, was also hat Gibson geritten, sie als Kinofilm zu adaptieren, wenn er keinen Funken Persönlichkeit in sein Herzensprojekt einfließen lässt? Wozu dann das Ganze?

Natürlich, nicht jeder ist mit der Geschichte vertraut,

ZitatDas weitere Schicksal von Judas kennen wir ja bereits aus "Wes Craven präsentiert Dracula"!

aber wenn sich das ausgiebige Zelebrieren der Geißelung zum Kernstück des Films auswächst, ist man besser beraten, es bei der Lektüre der Vorlage zu belassen. Damit hätte der Film eigentlich gar keine Existenzgrundlage mehr, wobei, eines zeichnet ihn dann doch aus, mit bestem Dank an Adam Kesher:

ZitatAuch wenn der Film letztlich nicht durch innere Qualitäten interessieren kann, bleibt er zumindest als überschäumender Akt christpatriotischen Sendungseifers ein beispielloses zeitgeistliches Phänomen.

Amen.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Chili Palmer

17 März 2007, 14:15:57 #40 Letzte Bearbeitung: 17 März 2007, 16:49:44 von Chili Palmer
Nun denn, nach kurzzeitiger (von magentafarbener Inkompetenz erzwungener) Abstinenz bin ich zurück, um meine garantiert unqualifizierte Meinung unter die Gemeinde zu streuen.
Aufgrund akuter Reviewschreibfaulheit nutze ich meinen Thread einfach mal dazu, die zuletzt von mir begutachteten Streifen in Kurzform abzuhandeln.

Da wäre zuerst Little Miss Sunshine zu nennen, in dessen Genuss ich jetzt doch noch gekommen bin. Wenn man ehrlich ist, wird einem hier genau die Sorte schmusewolliger Familienidylle serviert, die man dem Disney-Mainstream so gerne ankreidet, aber das Schäfchen hat sich einfach clever einen Independent-Wolfspelz übergeworfen, und man muss schon ein harter Knochen sein, um das Ganze nicht komplett herzerwärmend zu finden.
Aber auf Sonnenschein folgt Regen, ein ziemlich versiffter noch dazu, denn was in Saw III alles an Flüssigkeiten über die Leinwand suppt, das ist einfach nicht mehr feierlich. Hier erübrigt sich auch jeder weitere Kommentar, das Ding hat sich offenkundig totgelaufen, Ende Gelände, aus die Maus, das kleine Denkmal, das sich der erste Teil setzen konnte, wird unter einem Berg Schweineschleim begraben. Hol´ den Vorschlaghammer...
...und schlage zu wie Rocky Balboa, der sich einen gediegenen Ruhestand und dem Kinopublikum einen würdigen Abschluss der Rocky-Saga gönnt. Sicher, der Film hat seine Längen, aber insbesondere im Zusammenspiel mit dem ersten Teil ergibt sich hier ein rundes Bild, das endlich die Katastrophe mit der Nummer Fünf vergessen macht und zugleich auch Startschuss eines Trends ist: ,,Rambo 4", ,,Indiana Jones 4", und ,,Stirb Langsam 4" werden nachrücken, die Altvorderen schlagen zurück.
So wie Judi Dench in dem großartigen Notes On A Scandal, denn hier dreht sie ebenso wie ihr Konterpart Cate Blanchett mächtig auf und beschert uns das fulminanteste Schauspielerduell seit langem. Hier wird jeder Blick mit Bedeutung, jede Geste mit Brisanz, jedes Wort mit Sprengstoff aufgeladen. Nicht von der nach TV-Film müffelnden Grundidee abschrecken lassen, hier schlummert (gerade in der Originalversion) ein Juwel, das nicht nur an der Oberfläche laboriert, sondern dahin geht, wo es schmerzt.
Und es bleibt unbequem, denn Maestro De Niro persönlich nahm auf dem Regiestuhl Platz, um Matt Damon in The Good Shepherd mal so richtig durch den emotionalen Fleischwolf zu drehen. Ein Leben für sein Land, ein Leben für den Job, ein Leben als Agent. De Niro zeichnet in 167 Minuten ausführlich die Biographie eines Menschen nach, der schwere Opfer erbringen muss. Und das wird bemerkenswerterweise zu keiner Sekunde langatmig, tolle Schauspieler und fantastische Ausstattung tun ihr Übriges dazu.
Dröger geht es da schon bei dem ungleich kürzeren Ghost Rider zu, der sich zwar als der bessere Van Helsing, unterm Strich aber doch mittelmäßige Hui-Buh der Klingeltongeneration entpuppt. Und wer meine Reviews kennt, der weiß, dass ich bei Marvel-Filmen immer beide Augen bis zum Anschlag zudrücke, es kostet mich also schon einiges an Überwindung, Cages Feuerritt als mau zu bezeichnen. Aber vielleicht ist diese Art von Filmen notwendig, um die Kluft zu ,,Spider-Man" oder den ,,X-Men" zu verdeutlichen.
Das Beste zum Schluss, Guillermo del Toros Reise in Pans Labyrinth hat mich dann richtig umgehauen. Hatte ich ihn nach seiner genialen ,,Hellboy"-Adaption schon heilig gesprochen, so untermauert er hier seinen Ausnahmestatus als Regisseur für das Phantastische umso eindrucksvoller. Subtil und eindringlich zugleich, durchmischt mit spielerischer Verträumtheit und betäubenden Ausbrüchen von Gewalt, zeigt del Toro, wie das Genre aussehen kann, wie es aussehen sollte. Zusammen mit seinen Kollegen Cuarón und Inarritú definiert er das Kino der Gegenwart, sein Film ist ein Loblied auf zügellose Fantasie und Eskapismus. 8 Millionen ,,World Of WarCraft"-Spielern dürfte das Herz aufgegangen sein.

Soweit die Kürze in aller Würze, für die Statistik noch die Wertungen:

Little Miss Sunshine: 7/10
Saw III: 2/10
Rocky Balboa: 7/10
Notes On A Scandal: 8/10
The Good Sheperd: 8/10
Ghost Rider: 5/10
Pans Labyrinth: 9/10
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Vince

Na sowas, der Chili lässt sich auch nochmal blicken! Auch wenn ich nur erahnen kann, was es mit der "magentafarbenen Inkompetenz" auf sich hat, die dich ferngehalten hat, schön, nochmal was von dir zu lesen.

Schöne Zusammenfassung (wenngleich sie natürlich keine Chiliviews ersetzt), zu der ich mich leider nicht äußern kann, da ich sämtliche genannten Filme noch vor mir habe.

Chili Palmer

Zitat von: Vince am 17 März 2007, 15:51:23
Auch wenn ich nur erahnen kann, was es mit der "magentafarbenen Inkompetenz" auf sich hat

Das große T.

Zitat von: Vince am 17 März 2007, 15:51:23
wenngleich sie natürlich keine Chiliviews ersetzt

Chiliviews? Gefällt mir. Sehr gut. Das werde ich ab jetzt verwenden und irgendwann, wenn ich mit diesem Markennamen die ganz dicke Kohle scheffle, auch dem Urheber ein paar Groschen zukommen lassen.  ;)
Ansonsten, keine Bange, demnächst dann wieder ganze Texte, das volle Programm, so leicht wird man mich nicht los, hörst du, großes T?
Bis dahin schmöker ich erstmal ein wenig im ganz schön aus dem Leim gegangenen Reviewforum. Meine Güte, da ist man mal kurz aushäusig, schon schießen hier die Threads aus dem Boden (und lösen sich teilweise auch schon wieder in Schaum, ähh, Wohlgefallen auf). Ganz großes Kino hier!

"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Vince

Zitat von: Chili Palmer am 17 März 2007, 16:04:45
Das große T.
Aaaaah! Verdammtes T. Hat mir auch schon viel Ärger bereitet. ;)

Chili Palmer


Wenigstens einmal möchte ich auch die Werbetrommel rühren und weise hiermit auf das neueste Chiliview hin, das sich mit der Zack-Snyder-Sandale befasst:

http://www.ofdb.de/view.php?page=review&fid=105790&rid=238252

Im übrigen freue ich mich schon auf die vielfältigen Versuche, zum DVD-Start des Films den Begriff "spartanisch" in einen Zusammenhang mit dem Bonusmaterial zu setzen.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Vince

Zitat von: Chili Palmer am 12 April 2007, 12:54:14
Wenigstens einmal möchte ich auch die Werbetrommel rühren und weise hiermit auf das neueste Chiliview hin, das sich mit der Zack-Snyder-Sandale befasst:
Warum nur einmal? Ich bin froh, dass mal wieder jemand anders als die üblichen Verdächtigen oben steht. Wobei, für mich persönlich bräuchte eigentlich gar keiner neuen Stoff ankündigen, ich gehe ja täglich den "Neu"-Bereich durch und picke mir raus, was mich interessiert (andererseits übersieht man da schnell mal was...).

Von "300" weiß ich jedenfalls langsam, was ich zu erwarten habe. Ich glaube, wenn es nach mir ginge, würde ich mir den im Kino gar nicht mehr anschauen. Vielleicht kann ich mich drum herum drücken. ;)

http://www.ofdb.de/view.php?page=review&fid=105790&rid=238252

Chili Palmer

Zitat von: Vince am 12 April 2007, 14:52:32
Warum nur einmal?

Naja, ich war bisher so stolz auf meine Ich-bewerbe-mich-nicht-Einstellung, aber angesichts des Reviewbergs zu "300" hielt ich es nun doch für angebracht, ein wenig auf die Werbetube zu drücken, bevor es niemand liest. So schnell fliegen gute Vorsätze über Bord...

Zitat von: Vince am 12 April 2007, 14:52:32
Ich glaube, wenn es nach mir ginge, würde ich mir den im Kino gar nicht mehr anschauen. Vielleicht kann ich mich drum herum drücken. ;)

Dazu muss ich sagen, wenn schon, dann Kino. Zwar ist das nunmal nicht der von allen Dachspatzen herbeigepfiffene Überflieger, aber daheim dürfte er den letzten Rest Wucht einbüßen, solange du nicht gerade mit 700-Zoll-Plasma-Heimkino aufwarten kannst... und unterm Strich kommt dich eine Kinokarte auch billiger als eine Special-Collector´s-Edition mit Kühlschrankmagnet.
Um mal im Han-Solo-Stil zu reden: Dass ich dir nach meiner recht ungnädigen Review nun doch noch den Gang ins Kino schmackhaft zu machen versuche - es ist fast zum Lachen.  ;)
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Vince

Zitat von: Chili Palmer am 12 April 2007, 15:34:34
Naja, ich war bisher so stolz auf meine Ich-bewerbe-mich-nicht-Einstellung, aber angesichts des Reviewbergs zu "300" hielt ich es nun doch für angebracht, ein wenig auf die Werbetube zu drücken, bevor es niemand liest. So schnell fliegen gute Vorsätze über Bord...
Beim Simpsons Season 6-Review werde ich auf Werbung möglicherweise auch nicht verzichten können. ;)

ZitatDazu muss ich sagen, wenn schon, dann Kino. Zwar ist das nunmal nicht der von allen Dachspatzen herbeigepfiffene Überflieger, aber daheim dürfte er den letzten Rest Wucht einbüßen, solange du nicht gerade mit 700-Zoll-Plasma-Heimkino aufwarten kannst... und unterm Strich kommt dich eine Kinokarte auch billiger als eine Special-Collector´s-Edition mit Kühlschrankmagnet.
Nur bin ich so ein bescheuerter Sammler, der sich sogar mal ein Filmchen gönnt, das ihm nicht ganz so sehr gefallen hat... gerade alles, was ich im Kino gesehen habe, MUSS ich unbedingt auch auf DVD haben (naja gut, bei Pathfinder hege ich jetzt nicht unbedingt Kaufambitionen). Das Warten auf die Nice Price-Kategorie fällt mir sogar leichter, wenn ich NICHT im Kino war. Ich bin Opfer meines Konsumdenkens *Fight Club-Modus anwerf.. und damit doch schon wieder einen Film zitierend*.

Chili Palmer

Zitat von: Vince am 12 April 2007, 16:24:06
Nur bin ich so ein bescheuerter Sammler, der sich sogar mal ein Filmchen gönnt, das ihm nicht ganz so sehr gefallen hat...

Was ist das denn bitteschön für ein Verhalten... kann ich ja gar nicht nachvollziehen...  ;)

Zitat von: Vince am 12 April 2007, 16:24:06
Ich bin Opfer meines Konsumdenkens *Fight Club-Modus anwerf.. und damit doch schon wieder einen Film zitierend*.

Und was ist DAS denn bitteschön für ein Verhalten... Bin ich hier im Filmforum oder was?  :icon_cool:
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Sarge

12 April 2007, 17:40:54 #49 Letzte Bearbeitung: 12 April 2007, 17:42:27 von Sarge
Zitat von: Vince am 12 April 2007, 16:24:06gerade alles, was ich im Kino gesehen habe, MUSS ich unbedingt auch auf DVD haben

Du kranker Mensch, du... was ist das denn für ein Tick?


Zu Chilis Erguss: Ganz versucht objektiv gesehen, ist es hier bei diesem Film wahrscheinlich nicht das Beste, nur auf das Argument "war langweilig" zu setzen... aber das ist unterhaltsam zu lesen und irgendeiner, stimmt schon, muss es auch mal in der Deutlichkeit sagen: der Film war zuweilen stinklangweilig.

Chili Palmer


Ich hätte mich noch seitenlang über die Freigabe ab 16 Jahren aufregen können, aber erstens habe ich das im Freundeskreis schon zur Genüge getan und zweitens wurde das auch hier im Forum schon durchgekaut. Von dem ideologisch bedenklichen Inhalt fange ich gar nicht erst an (der wiederum eng mit der ab-16-Thematik verknüpft ist, aber lassen wir das).
Und da ich mich ja gerne über Aspekte auslasse, die nicht schon in jedem zweiten Review zur Sprache kamen, musste zwangsläufig der Spannungsfaktor dran glauben.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Mr. Vincent Vega

Sensationelle SPIDER-MAN-Besprechungen, da kann man nur lobpreisen, mein Herr.

Chili Palmer


Dankeschön!

Nach all den miesmachenden Texten, die ich mir zuletzt über Raimis Filme zu Gemüte führte, war es jetzt Zeit für den Fanboy-Rundumschlag. Bin vollständig glücklich mit dieser Trilogie, musste dann aber feststellen, wie schwer es ist, durchweg positive Reviews hintereinander wegzuschreiben, die Gefahr, sich zu wiederholen, ist immens. Wohl auch ein Grund, weshalb ich "Star Wars"- und "Herr der Ringe"-Reviews immer noch vor mir herschiebe.

Das noch am Rande: Was langsam immer unerträglicher wird, ist das Kinopublikum. Es gibt allen Ernstes Leute, die erst zum Showdown begriffen haben, dass Harry der Kobold ist, und diese Erkenntnis dann lautstark in den Saal prusteten, im schönsten Haha-Watson-der-Fall-ist-gelöst-Tonfall. Zwischendurch wird das Handy mit einem neuen Klingelton versehen oder mit Popcorn geworfen. Und natürlich wurde pflichtgemäß gestöhnt, als die Amerika-Flagge ins Bild kam, und natürlich wurde gelacht, als Peter am Schluss weinte.
Aahh, wenn ich doch Bruce Banner wäre... da wäre kein Nacho auf dem anderen geblieben.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Bretzelburger

Nichts gegen deine Fanboy Review, aber gerade mir als großem jahrzehntelangem Spidey Fan stößt insgesamt etwas sauer auf, daß es entweder die idiotischen Negativ-Reaktionen gibt, die du oben zu recht erwähnst und die mit "zu viel Kitsch" -Aussagen usw. langweilen oder die Fan-Begeisterungsstürme, sie alles ganz toll finden und für die merkwürdigsten Story-Plots noch eine Begründung abgeben. Eine analytische Auseinandersetzung, gerade von einem Kenner und Liebhaber des Comics UND der Filme findet nicht statt - auch bei dir nicht. Trotzdem akzeptiere ich natürlich deine Meinung, denn selbstverständlich steht es dir frei deine Fanbegeisterung heraus zu rufen...

Ein Beispiel : du begründest den Fakt, daß plötzlich der Sandmann an dem Tod von Peters Onkel schuld ist, damit, daß damit die Filmemacher nochmal dessen inneren Konflikt hervorrufen wollten - aus deiner Sicht bei einer Filmtrilogie eine legitime Maßnahme. Abgesehen davon, daß Filmemacher machen können, was sie wollen, ist es zumindest gerechtfertigt zu hinterfragen, was sie damit erreichen wollten und ob das im Gesamtkontext schlüssig wirkt.

Das tut es meiner Meinung nach nicht :

zuerst halte ich die Szene mit Peters Onkel in ihrer Art als einen besonders wichtigen Kulminationspunkt für die Gestaltung der Spinne überhaupt. Das ist fast so, als wenn ich plötzlich eine andere Variante für die Entstehung der Spinnenkräfte hervor zaubere. Seine Reaktion, daraufhin den Mörder zu töten (auch wenn das letztendlich ein Unfall war), löste bei ihm den Vorsatz aus, seine Kräfte verantwortlich anzuwenden. Im Comic gibt es immer wieder Situationen, in denen er daran Zweifel hat, immer wieder Momente, wo die Frage der Selbstjustiz kritisch hinterfragt wird - ohne das man auf die inhaltlich abgeschlossene Urszene zurückgegriffen werden mußte.

Ich halte das für einen sehr schweren Fehler im Storytelling, da damit eine Szene aus Teil 1 nicht nur ihre Bedeutung verlor, sondern auch das Gewicht in ihrer Ausgewogenheit. Anders als zum Beispiel bei "Star Wars", wo dieser Trick tatsächlich mehrfach angewendet wurde, daß Szenen später aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wurden und plötzlich völlig anders daher kamen, lag in dieser "Urszene" kein Schatten des Unklaren. Die Macher hätten genügend Möglichkeiten gehabt, den Konflikt an Hand des "Grünen Kobold" neu zu betrachten. Tatsächlich ist der Tod des Kobolds in Teil 1 auch ein Unfall, aber wer die Comics kennt, weiß, daß Peter nach dem Tod von Gwen keineswegs das Schonprogramm fuhr...

Diese Zweifel läßt der Film raus, indem gegenüber Harry immer so getan wird, als würde Spidey seine Finger bei Papas Tod in Unschuld waschen - da wäre mehr Potential für eine differenzierte Betrachtung gewesen, ohne irgendwelche konstruierten Plots auf die Matte zu bringen. Meiner Meinung nach ist die veränderte Szene rein dem Publikum geschuldet, dem an Hand von eingeführten Personen ,möglichst einfach Spideys Konflikt verkauft werden soll - ein Schwachpunkt und Rückschritt im Storyaufbau und eine Verletzung des Originals, daß nicht durch die Möglichkeit der freien Gestaltung (wie z.B. der Austausch von Gwen und M.J.) entschuldigt werden kann.

Eine solche Analyse, die sicherlich über eine Review hinausgeht, könnte man noch zu einigen weiteren Punkten schreiben, die für mich den dritten Teil (dem ich 7 Punkte gab) qualitativ als den bisher schwächsten ansehen lassen - gerade aus der Sicht eines Fans.

Chili Palmer

12 Mai 2007, 18:40:49 #54 Letzte Bearbeitung: 12 Mai 2007, 19:08:07 von Chili Palmer
Nun, hier dürfte wohl der entscheidende Punkt sein, dass ich den nachträglichen Eingriff in diese fraglos ungemein wichtige Szene nicht als "Verrat" begriffen habe, welcher das inhaltliche Konstrukt schwächt.

Der Straßenräuber ist tot, Onkel Ben ist tot, und dennoch ist Peter einfach nicht fähig, einen Schlusstrich zu ziehen. Im Comic muss er dies natürlich auch nicht, in derselben Weise, wie Bruce Wayne aus seinem Kindheitstrauma eine lebenslange Motivation für die Verbrecherjagd zieht, so wird Spidey immer wieder an seine Pflicht erinnert.
Nur möchte Raimi hier meines Erachtens den Kreis schließen, seinem Film-Helden Erlösung zukommen lassen, was ich im Rahmen einer Trilogie für legitim halte. Was diese Vorgehensweise für zukünftige Filmfortsetzungen bedeutet, steht natürlich auf einem anderen Blatt, da kann es schwierig werden.
Aber so steht für mich die Szene, in der Peter dem wahren Mörder (und damit sich selbst) vergibt, für eine fantastisch gelöste Art, den Reifeprozess des Helden abzuschließen. Dies wäre mit keinem anderen Schurken möglich gewesen.

Oder reden wir hier aneinander vorbei?

EDIT:
Also, für mich stellt sich das so dar, dass für dich das Problem ist, dass nicht der Mann, den Peter hätte aufhalten können, der Mörder ist, sondern eine dritte Person, was Peter somit aus der Verantwortung zieht, weil dann ja auch theoretisch ein Kühlschrank auf Onkel Ben hätte fallen können, es hätte nicht mehr in Peters Hand gelegen.
Doch so gravierend greift Raimi hier ja nicht ein, er baut quasi einen Sicherungsbolzen ein, indem er Marko vom Dieb anrempeln und somit erst den tödlichen Schuss lösen lässt. Damit ist Peter nämlich wieder Teil der Ereigniskette, die zum Tode seines Onkels führt.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Bretzelburger

Auch wenn das an Hand eines so aktuellen Films merkwürdig klingt - Spidey ist aus meiner Generation. Gerade las ich in einem Interview mit Rudi Völler, der 6 Wochen älter ist als ich, daß er immer großer Spiderman Fan war. Ab 1964 erschienen sie in Hit, Marvel legte die Hefte zum ersten Mal chronologisch ab 1974 auf - und so blöd das klingen mag - eine solche Verfälschung dieser Szene aus Heft 1 ist nicht zu akzeptieren und für die Thematik hätte es eine Vielzahl Möglichkeiten gegeben, sie wieder aufzunehmen.

Abgesehen davon ist bei "Spiderman" nie etwas endgültig - jedes Problem taucht immer wieder auf, das macht ja den Charakter der Serie aus und wenn der Film das nicht begreift, hat er die Vorlage nicht verstanden. Aber so habe ich "Spiderman 3 " auch nicht empfunden.

Chili Palmer

Zitat von: Bretzelburger am 13 Mai 2007, 00:12:57
Auch wenn das an Hand eines so aktuellen Films merkwürdig klingt - Spidey ist aus meiner Generation.

Hm, das ist jetzt aber dieselbe Argumentation wie bei der allgemeinen Empörung zum Start von Episode I.
Modernisierungen historisch eindeutig verorteter Stoffe haben es halt schwer, ihr ehemaliges Kernpublikum vollends zu überzeugen, da ist Raimis Weg doch wirklich schmeichelnd für Nostalgiker.

Zitat von: Bretzelburger am 13 Mai 2007, 00:12:57
und so blöd das klingen mag - eine solche Verfälschung dieser Szene aus Heft 1 ist nicht zu akzeptieren und für die Thematik hätte es eine Vielzahl Möglichkeiten gegeben, sie wieder aufzunehmen.

Bescheiden wir uns also damit, dass dich die Möglichkeit, die Raimi wählte, unzufrieden zurücklässt.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Red Shadow

13 Mai 2007, 02:44:47 #57 Letzte Bearbeitung: 13 Mai 2007, 02:55:40 von red shadow
Zitat von: Chili Palmer am 12 Mai 2007, 15:41:42
Dankeschön!

Nach all den miesmachenden Texten, die ich mir zuletzt über Raimis Filme zu Gemüte führte, war es jetzt Zeit für den Fanboy-Rundumschlag. Bin vollständig glücklich mit dieser Trilogie, musste dann aber feststellen, wie schwer es ist, durchweg positive Reviews hintereinander wegzuschreiben, die Gefahr, sich zu wiederholen, ist immens. Wohl auch ein Grund, weshalb ich "Star Wars"- und "Herr der Ringe"-Reviews immer noch vor mir herschiebe.

Das noch am Rande: Was langsam immer unerträglicher wird, ist das Kinopublikum. Es gibt allen Ernstes Leute, die erst zum Showdown begriffen haben, dass Harry der Kobold ist, und diese Erkenntnis dann lautstark in den Saal prusteten, im schönsten Haha-Watson-der-Fall-ist-gelöst-Tonfall. Zwischendurch wird das Handy mit einem neuen Klingelton versehen oder mit Popcorn geworfen. Und natürlich wurde pflichtgemäß gestöhnt, als die Amerika-Flagge ins Bild kam, und natürlich wurde gelacht, als Peter am Schluss weinte.
Aahh, wenn ich doch Bruce Banner wäre... da wäre kein Nacho auf dem anderen geblieben.

Bei mir schrillt eigentlich nicht der Fanboy-Alarm, aber trotzdem stimme ich da Vega zu. Eine hervorragende Kritik und die Kommentare darüber hinaus sind so wahr, dass es schon fast schmerzt :algo: :icon_rolleyes:. Gute Arbeit :respekt: - wenn ich momentan nicht mit weitaus schöneren Dingen beschäftigt wäre, würde ich selbst noch etwas zum Film schreiben.
Why so serious?

WEAR RED, GET LOUD! GO 49ers!

Who's got it better than us? Nooobody!!!

Chili Palmer


Um meinen Standpunkt noch einmal deutlich zu machen:

"Spider-Man" ist das Werk unzähliger Autoren und Zeichner, ein Gemeinschaftskunstwerk, das zwar von Lee und Ditko begründet, im Laufe der Jahre aber von anderen Künstlern ebenfalls entscheidend mitgeprägt und verästelt wurde.
Innerhalb dieser Serie gibt es keinen Stillstand, ihre potenziell endlose Laufzeit gereicht ihr sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil. So kann es eben nicht die eine, objektiv einzig wahre Version des Netzschwingers geben, weil die Serie sich über die Jahre immer wieder neu erfindet und sowohl einer veränderten Comiclandschaft als auch einem neuen Publikum anpasst.

Jeder Fan hat seine persönlichen Lieblingskünstler, die Spider-Man so präsentieren, wie er sich das vorstellt. Von diesem Idealbild abweichende Geschichten neigt der Fan für sich selbst zu ignorieren, und, sollte eine Handlungsentwicklung einmal auf den geballten Widerstand der Leserschaft stoßen, rückt das nachfolgende Kreativteam die Dinge halt wieder "gerade".
Aktuelle Beispiele wären da die Kontroverse um Straczynskis "Alte Sünden"-Story, die uns die "Heilige Kuh" Gwen Stacy in einem sehr viel diffuseren Licht präsentiert und so an einem Stützpfeiler der Gesamtgeschichte rüttelt, oder die Klon-Saga, in welcher einfach mal behauptet wurde, Peter Parker wäre nie der wahre Spider-Man gewesen, sein Leben (seit seinem ersten Comic-Auftritt) eine Lüge.
Und siehe da, selbst hierfür fanden sich Fans, die diese, die gesamte Serie ad absurdum führende Idee begrüßten.

Lange Rede, kurzer Sinn:
Sam Raimi seine persönliche Interpretation einer im ständigen Fluss befindlichen, permanenten zeitgeschichtlichen Umwälzungen unterworfenen Comic-Serie, die einfach keine definitive Form, vergleichbar einem abgeschlossenen Buch, bieten kann, als mangelndes Verständnis auszulegen, halte ich schlicht für unfair.
Dies ist nicht Stan Lees, J. Michael Straczinskys oder Todd McFarlanes Spider-Man. Es ist Raimis.
"I'm an actor, love, not a bloody rocket surgeon".

"Der Terminader is ja im Grunde so'n Kaiborch."

Vince

Auch von mir nochmal ein fettes Dankeschön für die Reviewtrilogie, die zwar in den Matrixbesprechungen kaum überwindbare Konkurrenz hat, aber grundsätzlich dürfte es noch viel mehr solcher Triplepacks von dir geben. Die Ringherren hast du ja schon angesprochen - dann halt dich mal ran!  ;)

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